Hat Tsipras mehr erreicht als Konservative hätten erreichen können?
Man kann unendlich viel schreiben über das, was vergangenes Wochenende und überhaupt die Monate davor zwischen Griechenland und der Eurogruppe passiert ist. Ich versuche mich hier mal mit der Sicht eines griechischen Syriza-Wählers.
Für den müsste die entscheidende Frage sein:
Hat Tsipras mehr erreicht als griechische Konservative hätten erreichen können?
Und da sehe ich ehrlich gesagt nix. Er hat zwar ein neues Hilfsprogramm bekommen mit großem Umfang, für die nächsten 3 Jahre. Er hat den Grexit abgewendet. Das mag Planungssicherheit bringen. Aber das Ganze unter massivsten Auflagen, da ist keine linke Handschrift zu erkennen. Da ist nichts, was nicht auch Konservative bekommen hätten.
Auch wenn man sich sonst Tsipras' bisherige Amtszeit anschaut, ist es eine Geschichte der Fehlschläge:
- Er dachte zu Anfang im Winter, die anderen Südländer diplomatisch mit ins Boot gegen den Norden holen zu können und hat sich massiv verschätzt: Kein Südland wollte (offen) mitmachen.
- Er dachte während der Verhandlungen, die Eurogruppe würde früher einlenken, aus Angst vor einer Zuspitzung der Lage in Griechenland zu verhindern, und hat sich verschätzt: Die Notkredite wurden gedeckelt, die Banken mussten schließen.
- Selbst beim Ausruf des Referendums dachte er noch, die Eurogruppe würde mit ihm die kommende Woche noch weiter verhandeln. (Siehe dazu Varoufakis' Pressekonferenz: Die Idee war, dass die Eurogruppe ihr Angebot solange verbessert, bis Tsipras seine Nein-Empfehlung in ein Ja noch ändert.) Er hat sich verschätzt.
- Er hat dann das Referendum zwar gewonnen, aber faktisch nichts erreicht. Es kam kein besseres Angebot. Und damit...
- ... hat er die Demokratie in seinem Land beschädigt. Was soll ich als Grieche mir jetzt noch von einem Referendum in meinem Land erhoffen?
- Er wird nun Syriza als linke Partei faktisch zerstören. Denn er muss nämlich die rausschmeißen, die das mit der linken Politik ernst gemeint haben. Damit wird es vorerst keinerlei nennenswerte linke Opposition in Griechenland geben.
- Er wird dazu die Troika wieder rein kriegen.
- Er wird griechischen Staatsbesitz privatisieren und damit eine linke Politik sogar für zukünftige Regierungen schwer machen bis ausschließen.
Was vielleicht das Schlimmste ist: Er hatte offenbar tatsächlich keinerlei Plan B, für den Fall der gescheiterten Verhandlungen. Damit hatte er faktisch einen Graccident, also einen unkontrollierten Grexit in Kauf genommen. Welche fatalen Verwerfungen gerade der für die ärmsten Griechen gehabt hätte, kann man sich ausmalen. Eigentlich unfassbar, diese Verantwortungslosigkeit.
Für Tsipras galt offenbar: "Lieber Austerität, als Grexit." Was an dieser Einschätzung noch links sein soll, ist mir ein Rätsel.
Ohne Frage, ein Grexit hätte schwierige soziale Folgen. Genau das hätte er aber mit der Eurogruppe ausverhandeln und mit weichesten Daunenkissen abfedern können. Wer hätte schon Nein sagen können zu subventionierten Medikamenten und Treibstoffen? Auch ein immer gewünschter Schuldenschnitt wäre drin gewesen.
Vor allem aber hätte er wieder nicht nur formale, sondern auch faktische Souveränität für sein Land. Für die linkeste Politik, die man mit fast absoluter Mehrheit hätte machen können.
Was hätte dann alles drin sein können: Radikale Reichenbesteuerung, völlige Bankenumstrukturierung, etc. Und wenn ihm sein Mini-Koalitionspartner in Quere gekommen wäre, dann eben Neuwahlen und mit absoluter Mehrheit weiter.
Was dagegen hat er jetzt? Einen Posten als Ministerpräsident, ohne eigene Mehrheit, der alle Wahlversprechen gebrochen hat.
